„Ich sehe mich als Moderator, der den Dialog organisiert“
Acht Fragen an Patrick Klügel, Cyber Valley Public Engagement Manager
Worum geht es beim Thema Public Engagement? Was ist das eigentlich?
„Public Engagement bedeutet so viel wie: Einbeziehung der Öffentlichkeit. Der Begriff ist hauptsächlich in den USA und Großbritannien populär, wo seit vielen Jahren Public-Engagement-Aktivitäten von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen professionalisiert und auch stark gefördert werden. Die Grundidee ist hierbei, dass Engagement stets ein interaktiver Prozess in zwei Richtungen ist: Es geht um Sprechen und Zuhören gleichermaßen. Das klingt erstmal banal, ist aber nicht selbstverständlich. Es sollen aber beide Seiten – Öffentlichkeit und Wissenschaft – von diesem Austausch profitieren. Letztlich geht es beim Cyber Valley Public Engagement darum, Dialogräume zu Themen rund um das Forschungsfeld künstliche Intelligenz zu öffnen. Wir greifen Fragen und Wissensbedarfe aus allen Teilen der Gesellschaft auf und bemühen uns um einen konstruktiv-kritischen, sachlichen Diskurs mit den Forschenden.“
Bedeutet das, Public Engagement ist letztlich nur eine etwas anders anlegte Form der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit?
„Nein, das ist nicht so. Bei Public Engagement wird zwar logischerweise auch viel kommuniziert. Aber hier steht das Gespräch der Menschen miteinander im Vordergrund. Dabei möchten wir insbesondere einer Vielfalt an Perspektiven einen Raum geben – und im Idealfall dafür sorgen, dass im Austausch etwas Neues entstehen kann. Das heißt auch, dass wir uns hier auf einen Prozess einlassen, in dem wir Wege und Formate entwickeln, die eben angesprochene Interaktion ermöglichen – ergebnisoffen. Ich sehe mich hierbei eher als Moderator, der diesen Dialog organisiert und begleitet, so dass er für Wissenschaft wie auch Gesellschaft gewinnbringend verläuft. Das ist etwas grundlegend anderes als klassische PR-Arbeit.“
Warum ist Public Engagement für Cyber Valley so wichtig?
„Zunächst einmal eine grundsätzliche Anmerkung: Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Wissenschaft ist strukturell asymmetrisch. In den vergangenen Jahren ist aber immer deutlicher geworden, wie sehr beide Seiten aufeinander angewiesen sind. Public Engagement kann hier einen positiven Beitrag leisten, zum Beispiel wenn unsere Maßnahmen dazu führen sollten, dass Argumente und Positionen auf beiden Seiten im Austausch fundierter erörtert werden.
Konkret auf Cyber Valley und das Thema KI bezogen: Künstliche Intelligenz ist ein sehr weites Feld, unter dem sich viele Menschen zum Teil ganz unterschiedliche Dinge vorstellen. Manche dieser Vorstellungen und Erwartungen, darunter auch Ängste oder Ablehnung, sind begründet und nachvollziehbar. Andere Assoziationen erinnern eher an Hollywood-Filme oder mitunter übertriebene Darstellungen technischer Möglichkeiten von Tech-Companies. Und viele Menschen wissen eigentlich gar nicht, was sie sich unter KI konkret vorstellen sollen – auch das habe ich in meiner Arbeit in den vergangenen Monaten immer wieder bemerkt.
Was den Forschungsverbund Cyber Valley betrifft kommt noch hinzu, dass hier ganz unterschiedliche Akteure in bestimmten, klar definierten Bereichen miteinander kooperieren. Das möchten wir noch besser erklären. Viel wichtiger aber ist: Machine Learning, Computer Vision und Robotics, was allgemein als künstliche Intelligenz zusammengefasst wird, sind Technologien, die unsere Gesellschaft verändern können. Deshalb brauchen wir auch eine gesellschaftliche Debatte dazu, die nicht nur akademisch ist – aber die auf der Basis guter Informationen geführt wird. Diesem Anspruch möchten wir auch mit unseren Public-Engagement-Formaten gerecht werden.“
Aus Ihrer Sicht als Public Engagement Manager beschrieben: Was ist Cyber Valley? Welche Ziele werden mit Cyber Valley verfolgt?
„Cyber Valley ist im Kern ein Forschungsverbund, in dem KI-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler der Universität Stuttgart, der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme freie Grundlagenforschung betreiben. Dazu kommen weitere Forschungspartner wie die Fraunhofer-Gesellschaft und sieben Partner aus der Industrie. Bei Cyber Valley geht es neben der Förderung von Forschung aber auch explizit um die Ausbildung von KI-Fachkräften. In einer Max-Planck-Forschungsschule werden beispielsweise hunderte Nachwuchswissenschaftler/innen bis zur Promotion begleitet.
Des weiteren gehört die Förderung einer Kultur des Unternehmertums und der Innovation dazu. Sprich, der Beitrag für die Wirtschaft soll sich nicht nur in der Ausbildung von Fachkräften bemessen, sondern auch in der Sicherung oder sogar Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dafür gibt es mehrere Wege. Noch selten ist die Gründung von Start-ups durch Forschende. Solche Ausgründungen können kommerzielle Zwecke verfolgen oder ohne Gewinnabsicht agieren. Viel häufiger passiert es, dass die exzellent ausgebildeten Nachwuchskräfte nicht an den Forschungseinrichtungen bleiben, sondern in Industrieunternehmen wechseln. Ich persönlich finde es besonders spannend, dass Cyber Valley außerdem das Ziel verfolgt, den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema KI voranzubringen.“
Stichwort Ökosystem: Dieser Begriff fällt im Zusammenhang mit Cyber Valley recht häufig. Wie ist er zu verstehen?
„Es gibt inzwischen einfach sehr viele Initiativen, Einrichtungen und Netzwerke, die im direkten Umfeld des Forschungsverbunds Cyber Valley im engeren Sinne existieren. Da ist beispielsweise das an der Universität Tübingen angesiedelte und vom Bund geförderte KI-Kompetenzzentrum oder das Exzellenzcluster für Maschinelles Lernen in der Wissenschaft. Dann ist da ein Masterstudiengang für maschinelles Lernen an der Uni Tübingen, das europäische Forschungsnetzwerk ELLIS oder auch das gemeinsam mit Fraunhofer betriebene KI-Fortschrittszentrum Lernende Systeme. Darüber hinaus sind die eben angesprochenen Ausgründungen durch das Cyber Valley Start-up Network miteinander verbunden. Dieses gesamte, bisweilen unübersichtliche KI-Umfeld in Stuttgart und Tübingen ist gemeint, wenn vom Cyber Valley Ökosystem die Rede ist. Es ist eben ein sich entwickelndes Projekt: etwas Lebendiges, in dem sich ganz unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Rollen gegenseitig bereichern.“
Welche Rolle spielen ethische Überlegungen bei der KI-Forschung?
„Eine wichtige, insbesondere in der öffentlich finanzierten Wissenschaft! Es gibt die so genannte Dual-Use-Problematik. Vereinfacht gesagt: Jedes Werkzeug, jede Technologie, jede Erfindung kann grundsätzlich für zivile, aber auch für nicht-zivile Zwecke verwendet werden. Das betrifft auch das Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz. Aus diesem Grund wird beispielsweise die Vergabe von Forschungsgeldern hier ganz besonders beobachtet. Weil aber die Freiheit und Unabhängigkeit von der Forschung in Artikel 5 des Grundgesetzes gesichert ist, stellt Dual-Use eine Herausforderung dar, die nicht so einfach zu meistern ist.
Im Falle des durch die Industriepartner finanzierten Cyber Valley Research Fund schaut sich ein öffentlicher Beirat mit unabhängigen Ethik-Experten und Vertretern der Zivilgesellschaft, das Public Advisory Board, die Forschungsanträge genau an. Dieser Beirat prüft, ob ein Forschungsprojekt in ethischer Hinsicht womöglich Probleme aufwirft, die gefährliche Folgen für die Gesellschaft haben könnten. Dass ein divers besetzter Beirat das so macht, ist neu und bislang einzigartig im Bereich der öffentlichen KI-Forschung.
Obwohl KI-Forschende mit Ihrer Forschung grundsätzlich zum Wohl für die Gesellschaft beitragen wollen und sollen, sehen sie bestimmte Gefahren manchmal selbst nicht. Darauf müssen sie aufmerksam gemacht, dafür müssen sie ausgebildet werden – und dafür kann auch der Dialog mit der Gesellschaft sensibilisieren. Das Interesse daran ist unter Cyber Valley Forschenden groß – und deshalb ist es wichtig, dass sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen in unseren Projekten engagieren.“