Inspiriert von der Gesellschaft
Maria Wirzberger bringt KI-Systeme in die Bildung
Als Brückenbauerin ist Maria Wirzberger eine perfekte Besetzung – schon dank ihres eigenen Werdegangs. Denn der bietet spannende und sehr unterschiedliche Stationen: von der Heilpädagogin zur Ausbildung als Personal Coach, dann ein Studium der Psychologie, mit dem Studium in Human Factors der Schritt in die Technik und schließlich die Verknüpfung mit dem Thema künstliche Intelligenz (KI). Als roter Faden zieht sich dabei das Thema Lernen durch Wirzbergers Biografie.
„Was mich von Anfang interessiert hat, war die Frage: Wie kann ich Lernen unterstützen, wenn es eben nicht so funktioniert, wie es funktionieren könnte“, erläutert Maria Wirzberger ihren Antrieb und den Kit, der die Stationen ihrer bisherigen Laufbahn zusammenhält. Dass dabei Technik eine zentrale Rolle spielen sollte, war nach ihrer Bachelorarbeit klar. „Damals habe ich mein erstes Experiment programmiert – und seither treibt mich die Frage um: Wie kann ich Technik in einer Art und Weise gestalten, dass Menschen sie einfach nutzen können und dass dadurch vor allem das Lernen optimal unterstützt wird?“
Erhöhte Aufmerksamkeit dank KI
Ein konkretes Beispiel für solch eine intelligente Bildungstechnologie ist ein Aufmerksamkeitstraining, das Wirzberger verantwortlich mitentwickelt hat und momentan weiter ausbaut. Ziel der zugrundeliegenden Software ist es, Menschen so zu unterstützen, dass sie bestimmte Aufgaben auf ein selbst definiertes Ziel hin fokussiert bearbeiten können. Zum Beispiel einen Text innerhalb von 30 Minuten zu schreiben. „Falls man dann von dieser Aufgabe abgelenkt wird, bekommt man vom System ein Feedback, wie wertvoll es wäre, wieder zur eigentlichen Aufgabe zurückzukehren“, erläutert Maria Wirzberger die prinzipielle Funktionsweise.
Aktuell forscht die Professorin an der Weiterentwicklung des Programms, die es anpassungsfähiger machen soll. „Denn wir wollen das System so gestalten, dass die Technik nicht etwas ist, wovon die Lernenden abhängig sind, um überhaupt erst arbeiten zu können“, führt sie aus. Vielmehr steht der Kompetenzerwerb im Fokus: Man soll selbst lernen, sich konzentrieren zu können, um dann auch ohne Hilfe der Technik konzentriert zu bleiben. Deshalb ist es wichtig, dass die Unterstützung durch das System auch schrittweise zurückgenommen wird.
So erfüllt das System schließlich zwei Aufgaben gleichzeitig, für die es mit Erfahrungen und Kenntnissen aus unterschiedlichen Fachbereichen gefüttert werden muss. Aus der Psychologie fließt das Wissen um Aufmerksamkeitsprozesse für deren Unterstützung ein und Mechanismen effektiver Trainingsgestaltung steuert die Didaktik bei – zusammengehalten von einer fundierten Software-Architektur und gesteuert durch Methoden der KI und des maschinellen Lernens im Hintergrund.
Eine Disziplin ist nicht genug
An diesem Beispiel wird schnell klar, wie wichtig interdisziplinäres Arbeiten über verschiedene Forschungsgebiete hinweg ist, wenn man KI und Bildung zusammenbringen will. „Konzentriert man sich beispielsweise nur auf die Technik und lässt Psychologie und Didaktik außen vor, schafft man Systeme, die vielleicht komplett am Bedarf der Lernenden vorbeigehen“, so Wirzberger. Um das zu vermeiden, müsse man aber nicht nur mit anderen Disziplinen arbeiten, sondern auch transdisziplinär die Personen aus der Praxis einbinden, die sich mit solchen Systemen im Bildungskontext auseinandersetzen und diese weitertragen sollen.
So erklärt Wirzberger auch ihre intensive Zusammenarbeit mit Pädagog:innen: „Was nützt die bunteste App, wenn sie am Ende keiner verwenden will, weil sie den Bedarf einfach nicht trifft?“ Deshalb werden die Erfahrungen und Herausforderungen aus der täglichen Schularbeit direkt in die Forschung einbezogen. Schließlich seien die Lehrkräfte ja auch die Expert:innen, wenn es um Didaktik geht.
Dabei kommen Maria Wirzberger auch die vielfältigen Erfahrungen auf ihrem Bildungsweg zugute, liegen doch die Disziplinen, die vereint werden müssen, in vielen Fällen ein gutes Stück weit auseinander. „Aus fachlicher Sicht sprechen sie oftmals nicht die gleiche Sprache“, veranschaulicht Wirzberger die Herausforderung. Als unermüdliche Wandlerin zwischen den Welten vermittelt sie, vereint das Beste aus allen Bereichen und gestaltet einen nachhaltigen Austausch.
Geben und Nehmen in Cyber Valley
Die Voraussetzungen, diese selbstauferlegte Aufgabe zu meistern, findet Maria Wirzberger in Cyber Valley mit dem Standort in Stuttgart und Tübingen. „Interdisziplinäres Arbeiten ist kein Selbstläufer. Es braucht ein gewisses Mindset und die Offenheit gegenüber anderen Forschungskulturen. Und all das findet man in beeindruckender Vielfalt in diesem Ökosystem“, stellt Wirzberger fest.
Besonders hilfreich ist für sie das weitverzweigte Netzwerk von Cyber Valley. Das zeichnet sich durch eine Vielzahl von Expert:innen auf unterschiedlichen Gebieten aus – alle auf kurzem Wege erreichbar. „Das ist wie eine große Menükarte, auf der ganz viele verschiedene Angebote zu finden sind. Je nachdem, welches Mosaiksteinchen mir für meine Forschung gerade fehlt, gibt es da die passenden Ansprechpartner:innen“, so die Tenure-Track Professorin. Das habe ihr vor allem auch den Einstieg in Stuttgart mitten im Corona-Lockdown erleichtert und sie unterstützt, ihre Abteilung so schnell aufzubauen.
Darüber hinaus helfe Cyber Valley auch sehr dabei, bekannt zu werden – und wird damit auch zu einem Faktor für die Karriere in der Wissenschaft. Für Wirzberger selbst, aber auch für den künftigen wissenschaftlichen Nachwuchs. Denn Forschende mit ungewöhnlichen Biografien wie Wirzberger geben als Vorbilder immer auch etwas zurück und ermutigen andere, ihren eigenen Weg zu gehen.
Einsatz auf höchster Ebene
Im Fall von Maria Wirzberger hat dieser Weg bis zur Europäischen Kommission geführt. Denn dort ist sie für die Universität Stuttgart und Cyber Valley Teil einer Expert:innen-Gruppe, die Guidelines zum ethischen Einsatz von KI und Daten in der allgemeinen und beruflichen Bildung entwickelt, insbesondere für Lehrkräfte. Diese sollen dazu beitragen, dass die Gestaltung und Nutzung der entstehenden Technologien auf der Grundlage interdisziplinärer und ethischer Expertise in einer verantwortungsvollen Weise geschieht. Transparenz im Umgang mit KI-gestützten Systemen ist für Wirzberger generell ein Schlüssel, um existierende Ängste gegenüber neuen Technologien aufzugreifen und Vorbehalte abzubauen. „Es ist wichtig, zu erklären, was KI überhaupt ist, was solche Algorithmen machen und was sie können – und was eben auch nicht“, erläutert die Forscherin. So begegne man am besten den vielen diffusen Ideen und Befürchtungen, die oft eher von Science-Fiction-Filmen genährt werden als von der Realität.
Diese Mission teilt sie mit Cyber Valley und der Universität Stuttgart. Beide Institutionen haben erkannt, dass eine zukunftsfähige Gesellschaft nicht ohne intelligente Technik und Systeme auskommt, die eine Vielzahl von Disziplinen überspannen und verbinden – die der Gesellschaft in einem intensiven Austausch, vielen Diskussionen und Mitmach-Aktionen aber auch vermittelt werden müssen. Entsprechend wertvoll ist das vielfältige Engagement für den öffentlichen Diskurs, das gemeinsam mit Forschenden an den Cyber-Valley Standorten mit viel Leidenschaft an den Tag gelegt wird.
Maria Wirzberger formuliert das wie folgt: „Wir schaffen Systeme und technologische Hilfsmittel inspiriert von der Gesellschaft – und für die Gesellschaft. Das heißt wir müssen auch ganz essenziell den Dialog mit der Gesellschaft führen.“ Und so ist auch folgerichtig ihr Wunsch für die Zukunft, dass noch größere und breitere Brücken gebaut werden zwischen der Forschung im Bereich KI und insbesondere der gesellschaftspolitischen Bildung im Land.