Moritz Hardt zum Direktor ans MPI-IS berufen
Gesellschaftliche Perspektive auf Informatik im Mittelpunkt der Forschung
Der Informatiker Moritz Hardt, Ph.D., folgt dem Ruf an das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS). Seit 1. Juli 2021 ist er im Nebenamt tätig, ab Januar 2022 wird er die Position in Tübingen in Vollzeit antreten. Seine neu gegründete Abteilung „Social Foundations of Computation“ – zu deutsch „Soziale Grundlagen der Informatik“ – setzt sich zum Ziel, soziale Fragestellungen in der Informatik zu verankern. Die Forschung soll zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der Computerwissenschaften beitragen, der die Informatik von Grund auf als eine Sozialwissenschaft behandelt, welche die Rolle der Gesellschaft als Ganzes sowie die Handlungen und das dynamische Verhalten von Individuen miteinkalkuliert – insbesondere dann, wenn Algorithmen einen Einfluss auf die Lebensrealität von Menschen haben.
Berechnungen als eine Form des sozialen Handelns sehen
„Unsere Forschung wird das Zusammenspiel zwischen Algorithmen und der Gesellschaft untersuchen“, sagt Moritz Hardt. „Wir möchten nicht nur vereinzelte Konsequenzen der Technologie erforschen, sondern algorithmische Methoden entwickeln, die soziale Grundlagen von vornherein beachten. Das Ziel ist eine soziale Sichtweise auf die Computerwissenschaften zu entwickeln, die die Disziplin selbst zu einer Sozialwissenschaft erweitert.“
Erst seit kurzem wächst eine globale Forschungsgemeinschaft in den Computerwissenschaften heran, die die Menschen in den Vordergrund rückt und algorithmische Entscheidungsprozesse hinterfragt, die auf Daten basieren, die oft sensibel sind. Das Thema Fairness begann vor etwa fünf Jahren zu einem zentralen Forschungsschwerpunkt innerhalb der Machine-Learning-Community zu werden, welcher heute mehr denn je Beachtung findet. Mit der Berufung von Moritz Hardt leistet die Max-Planck-Gesellschaft einen Beitrag zur Stärkung der Grundlagenforschung innerhalb der Computerwissenschaften, die den sozialen Kontext sowie Normen und Werte als einen festen Bestandteil von Algorithmen sieht. Jedes statistische Modell, jede Vorhersage oder Berechnung solle auf einer sozialen Grundlage fußen, vor allem, wenn ein Computer und nicht ein Mensch Entscheidungen trifft, benennt Hardt seinen Anspruch.
„Moritz Hardt hat fundamentale mathematische und algorithmische Beiträge zur Wechselwirkung zwischen Methoden des maschinellen Lernens und Ihrer gesellschaftlichen Einbettung geleistet. Wir freuen uns sehr, dass er seine Forschung am MPI-IS weiterführen wird, um gemeinsam eine künstliche Intelligenz zu entwickeln, die ihre Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft in den Vordergrund rückt“, sagt Bernhard Schölkopf, geschäftsführender Direktor des MPI für Intelligente Systeme.
„Informatik entwickelte sich an der Gesellschaft vorbei“
Hardt, der 2011 an der University of Princeton promoviert wurde, hat sich schon früh zu Beginn seiner Doktorarbeit mit dem Thema Datenschutz und Fairness bei der Klassifizierung sensibler Daten beschäftigt, als dieses Thema innerhalb der Community noch kaum bis keinerlei Zuspruch fand. „Ich bin dann über meine Arbeit an Differential Privacy auf soziale Fragestellungen gestoßen. Ich habe gemerkt, dass es sich nicht nur um Privatsphäre dreht, sondern viele andere Themen, die in der Informatik bis dahin über Jahrzehnte weitgehend ignoriert wurden. Die Disziplin Informatik hatte sich an der Gesellschaft vorbei entwickelt. Selbst heute werden soziale Probleme oft als Konsequenzen der Technologie eingestuft und nicht als zentraler Forschungsgegenstand“, so Hardt.
Die neue Abteilung „Social Foundations of Computation“, die von Hardt geleitet wird, basiert auf vier Forschungsschwerpunkten: Die Anwendung von Methoden des Maschinellen Lernens in sozialen und ökonomischen Kontexten, die Formulierung von sozialem und dynamischem Handeln als mathematische Modelle, die Untersuchung von Gültigkeit und Zuverlässigkeit statistischer Methoden sowie die Entwicklung von Datensätzen innerhalb von Forschungsgemeinschaften. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Etablierung normativer Ziele in der Informatik und insbesondere die Frage, wie man Werte und Normen mathematisch formuliert. „Mein Ziel als Direktor am Institut ist es, anderen Forschenden die Arbeit an zukunftsweisenden Fragestellungen zu erleichtern, denen derzeit noch zu wenig Aufmerksamkeit zukommt“, sagt Hardt.
Mit Celestine Mendler-Dünner hat bereits die erste Gruppenleiterin innerhalb der neuen Abteilung ihre Arbeit am Tübinger Standort des MPI-IS begonnen. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Modellierung sozialer Dynamiken und wie man diese in die Entwicklung von maschinellen Lernalgorithmen mit einbeziehen kann. Sie hat bereits in Berkeley mit Moritz Hardt zusammengearbeitet und die Ausrichtung der neuen Abteilung mitgeprägt. Weitere Anstellungen werden zeitnah folgen. Die neue wissenschaftliche Abteilung soll insgesamt auf etwa zwei Dutzend Mitglieder:innen anwachsen.
Bevor Moritz Hardt zum Direktor ans MPI-IS berufen wurde, war er Assistenzprofessor in der Fakultät Electrical Engineering and Computer Sciences an der University of California, Berkeley. Er promovierte in Informatik an der Princeton University mit einer Dissertation über Datenschutz und Fairness bei der Klassifizierung sensibler Daten. Anschließend war er bei IBM Research und Google tätig. Hardt ist Mitbegründer der Konferenz „Fairness, Accountability, and Transparency in Machine Learning“. Er ist Co-Autor der Bücher „Fairness and Machine Learning: Limitations and Opportunities“ (MIT Press, 2022) und „Patterns, Predictions, and Actions: A Story About Machine Learning“ (Princeton University Press, 2022).