„Wir möchten komplexe dynamische Systeme besser in die Lage versetzen, sich an veränderte Bedingungen anzupassen“
Michael Mühlebach ist seit kurzem Leiter der Forschungsgruppe „Learning and Dynamical Systems“ am MPI-IS
Tübingen - Michael Mühlebach hat schon früh in seiner Karriere ein Interesse für maschinelles Lernen entwickelt. Im Laufe seiner Promotion entwarf er Lern- und Regelungsalgorithmen für einen Balancier-Roboter und eine Flugmaschine. Während solche Forschungsprojekte auf maßgeschneiderten Lösungen für den zuverlässigen Betrieb von kleinen Systemen in einer einfachen Umgebung basierten, möchte Mühlebach seine Forschung nun auf die nächste Stufe heben: Als Leiter der unabhängigen Forschungsgruppe „Learning and Dynamical Systems“ am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Tübingen möchte er seine Aufmerksamkeit auf große dynamische Systeme richten, die mit komplexen Umgebungen interagieren. Mühlebach ist seit dem 1. Februar 2021 am MPI-IS.
„An der Schnittstelle zwischen maschinellem Lernen, Optimierung und Kontrolltheorie gibt es viel Spannendes zu erforschen“, sagt Mühlebach. „Wir möchten Systeme wie Stromnetze oder autonome Transportsysteme besser in die Lage versetzen, sich an veränderte Bedingungen und Umstände anzupassen und darauf zu reagieren. Hier liegt die Herausforderung darin, Algorithmen zu entwickeln, die nicht nur Muster in den Daten erkennen, um ihre Treffsicherheit kontinuierlich zu verbessern. Sie sollten auch in der Lage sein, zuverlässig zu funktionieren, wenn etwas Unerwartetes passiert, wie zum Beispiel ein extremes Wetterereignis oder eine plötzliche Veränderung des Verkehrs.“
Derzeit werden Methoden des maschinellen Lernens und der Regelungstechnik weitgehend auf dynamische Systeme angewendet, die nur wenige Freiheitsgrade haben und in einer einfachen Umgebung arbeiten. Diese Methoden sind zum Beispiel sehr effektiv, um ein autonomes Flugobjekt zu stabilisieren und sicherzustellen, dass es sich an Seitenwind oder den Verschleiß seiner Propeller anpassen kann. Um größere und plötzliche Änderungen, wie den Verlust eines Propellers oder eine plötzliche und große Änderung der Nutzlast, zuverlässig zu bewältigen, sind jedoch noch maßgeschneiderte Lösungen erforderlich. Eine weitere große Herausforderung besteht im Umgang mit größeren Systemen. Um maschinelle Lernalgorithmen in komplexeren Szenarien erfolgreicher zu machen, möchte Mühlebach den Ansatz verfolgen, Vorwissen, zum Beispiel in Form von physikalischen Gesetzen, besser einzubeziehen. „Letztlich geht es darum, irreführende Muster in den Daten zu eliminieren, denn diese wirken sich negativ auf die Fähigkeit eines Systems aus, genaue Vorhersagen zu treffen. Und selbst wenn etwas Unerwartetes passiert, das die gesammelten Daten nicht erfassen, muss das System trotzdem in der Lage sein, damit umzugehen, sich anzupassen und zu funktionieren. Bei Systemen, die das Leben von Menschen beeinflussen können, steht sehr viel auf dem Spiel. Hier ist die Zuverlässigkeit entscheidend“, sagt Mühlebach.
Eine weitere zentrale Herausforderung in diesem Forschungsbereich besteht darin, Ansätze zu entwickeln, welche die schiere Menge an Daten effektiv verarbeiten können und dabei noch in Echtzeit arbeiten. „Mit den zunehmenden Möglichkeiten der Sensorik können wir immer mehr Daten sammeln und sehr präzise Modelle erstellen. Wir möchten jedoch unsere Modelle laufend aktualisieren und sie nutzen, um in Echtzeit sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Es ist daher entscheidend, dass unsere Algorithmen ihre Aufgaben in kurzer Zeit erledigen und die verfügbaren Rechenressourcen effektiv nutzen.“ Aus diesem Grund will Mühlebach seine bisherige Forschung im Bereich der Optimierungsalgorithmen ausbauen. Das sind Computerprogramme, die beispielsweise entscheiden können, welche Aktion aus einer Menge von Alternativen günstig oder sogar die beste ist. „Letztlich basieren die meisten Algorithmen für maschinelles Lernen, statistische Inferenz und Regelung auf mathematischer Optimierung.“
Während er sein Team aufbaut, freut sich Mühlebach darauf, die Vorteile zu nutzen, die das MPI-IS und die Tübinger Forschungsgemeinschaft bieten. „Tübingen ist einer der führenden Orte für maschinelles Lernen. Ich habe mich für das MPI-IS entschieden, weil es hier hervorragende Leute gibt, die sowohl theoretisch als auch experimentell arbeiten. Die Infrastruktur ist einmalig; es gibt nicht viele Orte wie diesen auf der Welt“, sagt er.
Mühlebachs Forschung wird durch die renommierten Branco-Weiss- und Emmy-Noether-Fellowships finanziert, die er 2018 bzw. 2020 erhielt. Das Branco-Weiss-Fellowship unterstützt herausragende und interdisziplinäre Forschungsprojekte, die von der Mainstream-Forschung abweichen. Das Emmy-Noether-Stipendium, ein Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), fördert herausragende Nachwuchswissenschaftler/innen über einen Zeitraum von sechs Jahren beim Aufbau unabhängiger Forschungsgruppen. Zuvor war Mühlebach als Postdoc an der University of California, Berkeley, tätig und erlangte seinen Master sowie seine Promotion an der ETH Zürich.